Mit dem Fahrrad auf Reisen: Nord-Portugal

Foto: Bruno Mahnke


Alle Gerüchte, die über die portugiesischen Straßenverhältnisse und das Wegenetz im Umlauf sind, können getrost als nichtig verworfen werden. Nur dass die Portugiesen europaweit die höchste Zahl der Verkehrstoten pro Einwohner aufweisen, ist traurige Tatsache.

In den letzten zehn Jahren ist das Straßennetz aus Mitteln der Struktur- und Regionalfonds der EU grundlegend modernisiert worden. Die Hauptverbindungsstrecken sind begradigt und ausgebaut. Sie binden heute einen Großteil des Verkehrs. Viel wichtiger für den Radler ist der erheblich verbesserte Zustand der Nebenstrecken, auch hier wurden erhebliche Summen investiert, allein ein neuer Oberflächenbelag hat oft Wunder gewirkt. In den Städten und Dörfern sind aber viele Straßen mit Kopfstein gepflastert und nicht frei von Schlaglöchern.

Der Schwerpunkt bei den Etappenbeschreibungen ist auf ruhige Nebenstraßen gelegt. Sicher gibt es direktere Wege über gut ausgebaute Straßen, die aber immer verkehrsreich und landschaftlich nur halb so schön sind. Unbeschwertes Radeln und Spaß auf dem Weg sind wichtiger – ein Tribut an die Entdeckung der Langsamkeit. Portugal als Radfahrland wird auch weiterhin als eigenwillig gelten, soll es. Das erhöht den Reiz und verschafft dem Urlaub einen Hauch von Expeditionscharakter – mit diesem Fahrradreiseführer sind Sie gut gerüstet.

Die beschriebenen Nebenstrecken in der Estremadura, dem Beira Litoral, im Minho und im Trás-os-Montes sind mäßig befahren und in gutem Zustand. Die Autofahrer konzentrieren sich auf die Hauptverkehrsstraßen, hier können sie rasen, überholen und ihre Schutzengel schockieren. Die neu gebauten IP-Transitstrecken lassen die alten Strecken oft völlig verwaist. Eigentlich ein idealer Zustand: Die Straßen sind in gutem Zustand, und auf den vielbefahrenen Hauptverkehrsstraßen ist ohnehin selten ein landschaftliches Vergnügen zu finden.

Das Fahrrad führt in Portugal als Fortbewegungsmittel ein Schattendasein. Nur da, wo es die Geografie unbeschwert erlaubt, sprich wo es flach ist, rollen überhaupt Fahrräder. Dazu zählen die Küstenstreifen an der Costa de Prata und das Gebiet um Aveiro. Alte Herren setzen sich auf ihre Schesen, Modell Yé Yé luxo, und gondeln durch das Dorf vom heimischen Herd zur Bar und zurück. Dieses landesweit verbreitete Modell der Firma SAMGAL wird nahezu unverändert seit dem Zweiten Weltkrieg in Águeda bei Aveiro produziert. Ein komfortabler Fahrspaß, der für ca. 36.000 Esc zu haben ist. Prunkstück ist der Sattel der Firma TABOR. Ein schweres Lederstück in schwarz, solide abgefedert und schön tranig eingefettet. Einzeln wird er für ca. 4500 Esc verkauft. An einigen älteren Rädern sind noch gelbe Nummernschilder montiert. Sie dienten der Registrierung, eine Steuer war damit nicht verbunden. 1992 wurde die Registrierungspflicht abgeschafft. Ganz im Trend verheizen die noch nicht führerscheinfähigen Kinder einfache Mountain-Bikes in den Dorfgassen, vollführen tollkühne Bremsmanöver nach imposanten Sprintleistungen und fordern zum Wettrennen heraus.

Das Radfahren hat in Portugal den Nimbus des „Arme Leute“-Verkehrsmittel, gleichgestellt mit Eselskarren, Kühen und Fußgängern – man kann sich nichts anderes leisten. Um so stolzer und mit einem Schein von Überlegenheit und Geringschätzung fahren die Besitzer eines neuen Kleinwagens am Radfahrer vorbei. Dazu kommt ein fragendes Maß an Unverständnis, wie ein „reicher“ Mitteleuropäer auf die absurde Idee kommt, sich freiwillig den Anstrengungen einer Radfahrt zu unterziehen. In Portugal gilt es als schick, körperliche Anstrengung so weit wie möglich zu meiden, auf der gesellschaftlichen Leiter steht oben, wer nicht körperlich arbeiten muß. Erst recht wird der Portugiese in seiner freien Zeit dies tunlichst vermeiden. Lieber frönt er dem Nichtstun, schwatzt ausführlich und beobachtet aus den flinken Augen.

Bis sich das Radfahren als Freizeitvergnügen und Urlaubserlebnis in Portugal etabliert hat, wird noch einige Zeit vergehen. Mit der Mountain-Bike-(BTT – Bici­cleta Tudo Terreno) Welle ist aber eine erste Kurbelumdrehung in diese Richtung gemacht worden. Radelnde Touristen an der Algarve sind bereits häufiger zu sehen. Einige Gruppen von Rennradfahrern und Mountain-Bikern sind mit sportlichen Ambitionen unterwegs, darunter sonntags auch Portugiesen auf Edeldrahteseln. In vielen Städten werden Fahrradläden eröffnet. Bisher wurden Fahrräder zusammen mit Motorsägen und Motorrädern verkauft und unter dem selben Dach repariert – die Kette als Kraftübertrager war das verbindende Element. Große Rennradveranstaltungen wie die „Volta de Portugal“ im August und die „Volta ao Algarve“ Ende April bringen langsam die nötige Publizität. 1998 wird aus Anlass der Expo ’98 in Lissabon die Vuelta d’Espanha in Portugal starten und für vier Tage durchs Land touren. In den nächsten Jahren wird sich einiges tun.

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