Mit dem Fahrrad auf Reisen: Ungarn


Länder und Regionen mit überschaubaren Ausmaßen erfreuen sich bei Fahrrad-Touristen überdurchschnittlicher Beliebtheit: es hat zweifellos einen besonderen Reiz, ein Land weitgehend vollständig zu erfahren (im doppelten Sinne). Auch Ungarn weist die entsprechenden kompakten Abmessungen auf.

Neben diesem doch recht oberflächlichen Grund, das Land der Magyaren radtouristisch zu erkunden, bietet Ungarn eine solche Fülle von Attraktionen, daß die Entscheidung für eine Fahrradreise sich geradezu aufdrängt: landschaftlichen und kulturellen Abwechslungsreichtum, freundliche klimatische Bedingungen, ein gemessen am Verkehrsaufkommen umfangreiches und detailliertes Straßennetz, fahrradfreundliche topografische Gegebenheiten, eine funktionierende touristische Infrastruktur und niedrige Reisekosten.

Die kursierenden Klischees über Ungarn – Puszta, Paprika, Plattensee – sollten die Wahl des Fahrrad-Reiselandes hingegen nicht bestimmen; zu weit gehen sie an der Realität vorbei. Die Puszta, uns heute primär als Kulisse für Operettenaufführungen bekannt, bedeckte bis ins 19. Jahrhundert einen Großteil der ungarischen Tiefebene. Da diese Variante einer Flugsandsteppe, die vermeintlich so dekorativ mit Rinder- und Gänseherden, Pferdehirten (Csikós) und Ziehbrunnen ausgestattet war, in Wahrheit vor allem aus Armut bestand, gaben die Ungarn sich alle Mühe, die Puszta durch Wasserregulierungsmaßnahmen in Kulturland zu verwandeln. Dementsprechend ist sie heute eine einheitliche Landwirtschaftsregion und (rad)touristisch eindeutig der uninteressantere Teil des Landes.

Hingegen kann der Plattensee, in Ungarn "Balaton" genannt, eher als Orientierungspunkt dienen. Er ist nicht nur der Einheimischen liebstes Urlaubsgebiet, sondern auch das bevorzugte Reiseziel ausländischer Touristen. Europas größter Binnensee, extrem seicht und dadurch warm, bade- und kinderfreundlich, dient als Ausgleich für den Umstand, daß Ungarn keinen Zugang zu einem Meer besitzt. Zwar verfügt der Plattensee über sämtliche touristischen "Annehmlichkeiten", die dafür garantieren, daß sich ein Aufenthalt am Balaton nicht allzu stark vom Badeurlaub an irgendeiner relativ sonnenscheinsicheren Küste unterscheidet, umgeben ist er aber von der uralten Kulturregion Transdanubiens, d.h. des Landes "jenseits der Donau". Dieses abwechslungsreiche gemäßigte Hügelland, das etwa ein Drittel der Fläche Ungarns umfaßt, ist eine wahre Schmuckvitrine touristischer Attraktionen und verdient daher besondere Aufmerksamkeit.

Paprika im ungarischen Reisemenü ist ein Besuch Budapests, als zweite Hauptstadt der k.-u.-k.-Donaumonarchie geschaffen und doch eher an Paris als an Wien erinnernd.

Paprika ist außerdem der Besuch der recht beachtlichen Mittelgebirge mit nicht weniger bemerkenswerten Weinanbaugebieten im Norden Ungarns, die von westlichen Touristen zu Unrecht vernachlässigt werden.

Ungarn verdient, daß man es touristisch nicht auf einen Bruchteil seiner Fläche reduziert. Wer mit offenen Augen durch das Land der Magyaren radelt, wird eine ungewöhnlich genußreiche Fahrradreise erleben. Denn Ungarn ist mehr als Puszta, Paprika und Plattensee.

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