ON THE ROAD

Big Sur: das landschaftliche Highlight im Süden

Eines Nachmittags Ende Juli, irgendwo in einem Flieger hoch über den Dakotas. Entspannt hängen wir in unseren Sesseln. Alles hat geklappt! Die Fax-Bestätigung für die Motel-Reservierung in Seattle ist da, schnell noch einen unvorhergesehenen Zahnarztbesuch gemeistert, Bremsbeläge erneuert und vier Laufräder zentriert, die neue Lenkertasche einem Härtetest unterworfen (nämlich Karl Marx, Das Kapital Band 1-3, 100 km durch den Schwarzwald pedaliert, weil etwa so schwer wie unsere Fotoausrüstung), jeden verfügbaren Fetzen Papier über den Pacific Coast Highway gelesen und eine grobe Etappen-Aufteilung vorgenommen – ja, sogar unsere Bikes sind an Bord, fünf Minuten vor dem Abflug mit quietschenden Reifen vom Bodenpersonal herangekarrt, wie wir aus dem Kabinenfenster sehen konnten. Der Zwischenaufenthalt in Chicago war nämlich etwas knapp kalkuliert, aber jetzt befällt uns eine unsägliche Erleichterung. Endlich Urlaub! Schon lange wollten wir die Pazifikküste hinunterbummeln, losgelöst von alltäglichen zivilisatorischen Zwängen, ganz im Sinn von Jack Kerouac, dem Ober-Dharma-Gammler und Guru der Beat-Bewegung. Zwar mit weniger buddhistischem Sendungsbewusstsein, auch nicht vorbildgetreu im Güterzug, dafür aber mit Fahrrad, Zelt und zuweilen ganz stillos unter Einbeziehung eines guten Betts. Und, wie uns etliche Freunde unabhängig voneinander mit glänzenden Augen versichert hatten, auf uns wartet ein Bike Trip par excellence, der schönste, den man in den USA, vielleicht sogar auf der ganzen Welt nur irgend machen kann. Das lässt ein gutes Maß an Vorfreude aufkommen.
Nur für eines hat es beim besten Willen nicht mehr gelangt: Mit den kulturellen und geografischen Gegebenheiten von Washington, Amerikas „Hoch im Nordwesten“, konnten wir uns infomäßig nicht mehr befassen. In den Vereinigten Staaten waren wir schon oft, noch nie jedoch in dieser Ecke. Seattle, unser Startpunkt, ist für uns absolut ein weißer Fleck auf der Landkarte, bar jeder unterbewussten Gedankenkombination. Sicher, es gab da mal einen Film „Sleepless in Seattle“ mit Meg Ryan, aber als alten Kino- und Fernsehmuffeln ist uns der glatt entgangen. Sybille doziert aus der einschlägigen Fachliteratur: „Gegründet 1851, heute 500.000 Einwohner, wichtiges Industriezentrum, Sitz von Microsoft, Boeing und UPS, Rain Capital of the USA, lebhafte Musikszene...“ Aha! Und während mich die Müdigkeit übermannt und ich in Morpheus’ Armen versinke, schießen mir im Traum kaleidoskopartig Bilder durch den Kopf von einsamen Highways, feuchten, unendlichen Wäldern, regendurchpeitschten Großstadtstraßen und Bill Gates, der auf einem schroffen Felsen hoch über gischtender Brandung hockt und auf seinem Laptop herumhackt. Ein Zittern geht durch den Flugzeugrumpf, gefolgt von einem sanften Stoß, und wir sind angekommen.

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